Alpen 2018, Tag 18
Gestern Abend hatte es angefangen zu regnen und dann zu schneien. Hier „unten“ (auf etwa 1500 m) nicht viel. Dafür war es aber regelrecht stürmisch. In meinem Zimmer unter dem Dach im 4. Stock hat der Wind ganz schön gepfiffen. Ab und zu rauschte es, als ob nebenan eine 747 starten würde.
Heute morgen, sind die Berge etwa ab Baumgrenze schon etwas weiß. Ist aber noch keine durchgehende Schneedecke. Und das Hotel steht auch noch.
Ich hatte nach Wetterbericht heute deutlich schlechteres Wetter erwartet und keine Wanderung geplant. Vom Hotel wurde auch keine angeboten, vermutlich aus den gleichen Gründen. Das Wetter war aber nicht schlecht. Morgens noch etwas windig und ab und zu eine kleine Schneeflocke. Danach aber sonnig und schön. Ich habe schnell im Dorf noch etwas Proviant gekauft und habe mich dann auf den Weg aufs Figerhorn gemacht. Wie sich heraus gestellt hat, ist das ein wunderbarer Aussichtsberg von dessen Gipfel man in jede Richtung schauen kann.
Ich finde den richtigen Aufstieg nicht. Ich finde zwar einen Weg, aber nicht den richtigen Weg, wie ich recht bald fest stelle. Ist zwar ausgetreten, aber es fehlen Beschriftungen oder Markierungen. Ist aber ein schöner Weg und führt in die richtige Richtung, also mache ich mir da erstmal nichts draus. Alle Wege führen nach Rom, denke ich mir.
Aber je weiter ich gehe und je höher ich komme, desto schmaler und schwieriger zu finden wird mein Weg. Vermutlich hätte ich schon längst umkehren sollen, aber ich bin doch schon so weit gekommen. Ich gehe lieber noch ein wenig weiter. Vielleicht kommt ja doch noch eine Querverbindung zum richtigen Weg. Für diese Art der Selbsttäuschung gibt es auch einen Namen, das Concord Syndrom, wo man nach anfänglich hohen Investitionen, nicht bereit ist zur richtigen Zeit den Stecker zu ziehen und lieber noch mehr Geld hineinsteckt um doch noch erfolgreich zu sein.
Grundsätzlich ist das aber auch kein Problem. Von meinem letzten Besuch vor sechs Jahren erinnere ich mich, dass das Figerhorn im wesentlichen ein „Grasberg“ ist. Bis zum Gipfel gibt es Wiesen. Und da ich auf einer stehe, und den Gipfel fast sehen kann, sollte es ja auch möglich sein, von hier aus hinauf zu steigen. Stellt sich auch als richtig heraus.
Ich bin jetzt etwa auf halber höhe und erkenne, dass ich noch etwas nach Rechts muss. Da ist aber ein Bach im Weg. Da ich von hier nicht sehen kann, ob ich weiter oben rüber kann, probiere ich es hier. Gelingt mir auch, hätte ich aber vielleicht doch nicht machen sollen. Es geht über Geröll und Steine im Bach, danach über Stock und Stein auf der anderen Seite. Hier verlasse ich für kurze Zeit den bewirtschafteten Teil und muss durch einen wilden Wald, immerhin ist das hier ein Naturschutzgebiet. Da werden manche Teile bewusst nicht aufgeräumt.
Ich erreich schließlich wieder einen Weg und erkenne sogar einen roten Punkt. Später stellt sich das als irreführend heraus. Vermutlich ein Überbleibsel von einem alten Weg. Ich gehe ihn aber erstmal weiter und komme schließlich an eine kleine, verschlossene Alm. Niemand hier und es gibt auch keinen Weg, der nach oben führt. Also ein Stück zurück.
Ich bin schon drauf und dran umzukehren und ins Hotel zurück zu gehen, denke mir aber dann, ich bin hier auf einer Kuhweide und kann sehen, dass die weiter nach oben geht und irgendwann dort oben zu dem eigentlichen Gipfelpfad führen sollte. Also gehe ich ohne Weg oder Pfad weiter nach oben. Wo eine Kuh lang kann, kann ich auch lang, denke ich. Ist aber sehr steile und der Aufstieg ist sehr anstrengend.
Schließlich, nachdem ich das steilste Stück der Wiese erklommen habe, komme ich über einen Grat. Nur dass auf der anderen Seite eine andere Weide ist. Diesmal aber die richtige und der von mir ersehnte Pfad ist direkt vor mir. Ich erkenne, dass ich nochmal etwa 500 m nach oben muss. Das ist hart, aber ich bin doch schon so weit gekommen. Also beiße ich die Zähne zusammen und mache mich auf den Weg zum Gipfel. Langsam, sehr langsam. Immerhin habe ich mittlerweile schon einen tollen 180 Grad Ausblick. Auf die anderen 180, inklusive des Großglockners, hoffe ich beim Gipfel.
Und werde nicht enttäuscht. Hier oben kann ich einmal rundum gucken und habe eine großartige Fernsicht. Der Großglockner ist ja nicht weit und sieht gar nicht so groß aus. Nicht so, als ob sein Gipfel nochmal 1 km über mir wäre. Wie das doch täuschen kann. Figerhorn ist 2743 m hoch, der Großglockner ist 3798 m hoch. Mein Hotel liegt auf etwa 1500 m. Von hier oben kann ich vielleicht sogar zwei der drei Zinnen sehen. Muss ich mal in Ruhe zu Hause überprüfen. Nach ein paar Minuten wird es mir aber zu kalt hier oben. Der Wind pfeift ungehindert und die Luft ist vermutlich unter dem Gefrierpunkt. Auf der Schattenseite liegt noch der Schnee von heute Nacht.
Ich mache Fotos von allen Richtungen. Vielleicht kann ich die später zu einem Panorama zusammen setzen. Ich bin froh, dass hier oben ein sehr stabil aussehendes Gipfelkreuz steht an dem ich mich währen dessen festhalten kann. Denn auch wenn an zwei Seiten des Gipfels Wiesen zusammen stoßen, geht es an der dritten Seite fast senkrecht nach unten.
Zurück nehme ich den regulären Wanderweg. Genug Abenteuer für einen Tag. Geht außerdem auch viel schneller. Kurz bevor ich unten bin, geht meinem Telefon, und damit der GPS Tracker App, der Strom aus. Und auch sonst sieht die Statistik dieser Tour nicht ganz richtig aus. Ich bin zwischen 10:30 Uhr (da bin ich los) und kurz vor fünf nur dreieinhalb Stunden gelaufen? Und die ganze Strecke war nur 10 km lang? Das hat sich angefühlt wie die schwerste und anstrengendste Wanderung, die ich je gemacht habe. Muss ich mal überprüfen.